Die absurde Realität der CDU Sachsen

Ausschreitungen rechtsradikaler Gruppen sind kein sächsisches Alleinstellungsmerkmal. Doch Ereignisse wie Chemnitz 2018 oder Leipzig an einem Novembersamstag 2020 wirken in Sachsen mit einer besonderen Vehemenz. Absurde und realitätsferne, teilweise sogar realitätsleugnende Statements sächsischer CDU-Politiker*innen empören große Teile der Zivilgesellschaft. Doch warum ist das so? Kann es sein, dass die Partei entschieden hat, ihre Politik nicht mehr an der Realität, sondern an ihrer Vorstellung einer Realität auszurichten?

Dass die CDU in der Nachwendezeit sächsische Staatspartei wurde ist allgemein bekannt. Dazu bediente sie sich gesellschaftlich eingeübter Mechanismen und gab ein Versprechen, dass den Menschen in unruhigen Zeiten Sicherheit geben sollte:

Wählt uns, wir wissen was für euch gut ist, dafür lassen wir euch in Ruhe und halten euch die Probleme von außen vom Hals. Dann sind wir bald wieder wer.

Besonders in den 90er Jahren umwehte sie der bekannte Nimbus, dass die Partei schon immer Recht haben wird. Die Probleme von außen waren dann folgerichtig oft die EU, der Euro, Geflüchtete oder Menschen, deren Äußeres oder deren Weltanschauungen nicht dem sächsisch-deutschen Vorbild entsprachen.

Dieses Versprechen bekam spätestens mit der Finanzkrise 2008 und der fortschreitenden Globalisierung mit all ihren Konsequenzen große Risse. Ab 2014 war es endgültig in sich zusammengefallen. Und die CDU Sachsen suchte, von der Panik getrieben, bei den kommenden Wahlen massiv an Stimmen zu verlieren, nach einer neuen Strategie.

Die Bundestagswahl 2017 markierte den endgültigen Bruch mit der alten Strategie. Stanislav Tillich trat während der laufenden sächsischen Legislaturperiode zurück und Michael Kretschmer wurde neuer Ministerpräsident. Zu diesem Zeitpunkt begann bereits der Landtagswahlkampf 2019. Von nun an behauptete die CDU, sie habe ihr langjähriges Versprechen erfüllt. Jetzt ging es ihr nicht mehr darum, etwas zu erreichen, sondern das vermeintlich Erreichte zu bewahren.

Uns geht es gut. Sachsen geht es gut. Wir stehen toll da. Es gibt keine, allenfalls kleine Probleme. Die Dinge sind gut so wie sie sind.

Wenn ich die Reaktionen auf Chemnitz 2018 oder Leipzig vor ein paar Tagen betrachte, komme ich zu dem Schluß, dass die Partei begonnen hat, alles diesem Narrativ unterzuordnen. Sogar die Realität. Während die CDU zuvor eine Vision entworfen hatte, zu der sie Sachsen entwickeln wollte, hat ihre neue Vorstellung von ihrem Sachsen die realen Verhältnisse heute einfach ersetzt. Weder hat es Hetzjagden gegeben, noch war die Querdenken-Demonstration unfriedlich. Denn in dem Bild von Sachsen, dass die CDU Sachsen hat, gibt es solche Probleme einfach nicht. Man hat alles im Griff. Immer.

Vorwürfe der Inkompetenz sind schnell erhoben, aber besonders bei Vorkommnissen, wie in Leipzig, greifen sie meiner Meinung nach nicht mehr weit genug. Die Politik- und Kommunikationsstrategie der CDU Sachsen ist inzwischen vollends auf die Manipulation der öffentlichen Wahrnehmung ausgerichtet. Denn dort, wo etwas nicht geschehen ist, kommen auch keine Fehler vor und trägt niemand die Verantwortung. Folgerichtig werden alle, die sich dieser Absurdität widersetzen, pathologisiert, die eigene Wahrnehmung wird ihnen abgesprochen.

Die Folgen dieser Strategie sind fatal. Zum einen können sich Chemnitz und Leipzig jederzeit wiederholen, denn die zu Grunde liegenden Ursachen werden, es gibt sie schließlich nicht, nicht ausgeräumt. Auch wird die Kommunikationsbasis zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Teilen mutwillig zerstört. Die CDU regiert nicht alleine in Sachsen, die politischen Verhältnisse aber zwingen die SPD und Grünen mehr oder weniger, sich dem Diktat unterzuordnen, will man die Ziele, die man in den Koalitionsverhandlungen vereinbart hat, wirklich realisieren. Das wiederum schafft massiven Frust bei den Parteianhänger*innen und -wähler*innen. Mit einer Aufkündigung der Koalition ließe man die Gesellschaft allerdings allein mit dieser CDU.

Dazu kommt, dass sich der Partei immer weniger Chancen bieten, halbwegs gesichtswahrend von ihrer behaupteten Realität zurückzutreten. Je absurder und grotesker die Manipulation, um so schwerer wird es, diese aufzugeben. Und umso wütender werden die Gegenreaktionen einer manipulierten Zivilgesellschaft. Eine toxische Beziehung durch und durch.

Fatalerweise erinnert diese Strategie ein wenig an das Ende der DDR Diktatur. Als die Fassaden zu bröckeln begannen behauptete die Staatsführung der DDR bis zum Schluß das Gegenteil. Natürlich ist die CDU Sachsen weder die SED noch (moderner) Trump. Deren Strategien sind jedoch leider kein Alleinstellungsmerkmal.

PS.: Die Probleme und Ursachen sind natürlich vielschichtig. Dies ist nur einer von vielen Aspekten; die eine Sachsenerklärformel gibt es nicht (und vom Osten gleich mal gar nicht).

Titelbild: Lucrezia Carnelos on Unsplash

Warum die Kritik am OVG Bautzen fehl geht

An vielen Stellen wird nach den Ausschreitungen der Querdenken-Kundgebung in Leipzig die These aufgestellt, dass erst das Oberverwaltungsgericht Bautzen mit seiner Entscheidung, die Auflage der Stadt Leipzig, die Kundgebung auf dem Messegelände und nicht in der Innenstadt, zu kassieren, den Auslöser und die Ursache für die Ausschreitungen geliefert habe.

Der sächsische Innenminister Roland Wöller (CDU) argumentiert so, aber auch einige politische Beobachter und Journalisten. So schreibt stellvertretend Peter Maxwill in seinem Kommentar auf Spiegel Online:

Aber die Hauptverantwortlichen dafür, dass es überhaupt so weit kommen konnte, waren an diesem Tag höchstwahrscheinlich gar nicht in Leipzig: Es war das Sächsische Oberverwaltungsgericht in Bautzen, das mit einer äußerst sonderbaren Entscheidung den Chaostag von Leipzig erst ermöglicht hatte.

Peter Maxwill – Spiegel Online

Bisher ist die Begründung der Richter noch nicht veröffentlicht und die dünne Pressemitteilung teilte nur mit, dass mit Auflage einer maximalen Teilnehmerzahl von 16.000 Menschen die Kundgebung auf dem Augustusplatz stattfinden durfte, unter Einhaltung aller anderen von der Stadt erlassenen Auflagen.

Nun waren schon vor der Auflösung und späteren Eskalation weit mehr als 16.000 Teilnehmer vor Ort. Und es obliegt eben nicht dem Gericht, auf die Einhaltung zu achten. Sondern einzig und allein der Versammlungsbehörde, der Polizei und den Ordnern der Versammlung.

Und auch wenn ich die Entscheidung der Richter kritisch sehe, ist es meiner Meinung nach doch mehr etwas für den juristischen Diskurs (ich bin kein Jurist) als dass es tatsächliche Auswirkungen für den restlichen Tag gehabt hätte.

Die Veranstalter von Querdenken hatten schon Tage vorher in den eigenen Kanälen auf die potentiellen Teilnehmer eingewirkt, so und auch so in die Innenstadt zu kommen. Es hätte auch ohne den Augustusplatz noch 4 angemeldete und beauflagte Versammlungen aus dem Spektrum gegeben. Der Bestand der Verlegung der Kundgebung an die Leipziger Messe hatte in Wirklichkeit null Einfluss darauf, ob die Menschen in die Innenstadt ziehen, oder nicht.

Muss man das OVG kritisieren? Bestimmt, wenn die Begründung für das Urteil da ist. Trifft das Oberverwaltungsgericht aber eine unmittelbare Schuld an den Ereignissen? Nein, dafür ist nun mal die Exekutive zuständig. Und die Polizei hatte die Planungen bestimmt gemacht.

Bildquelle: Unsplash – Claire Anderson

Soulfood

Es braucht, bei aller Frustration, auch die schönen Momente. Fern sächsisch-deutscher Innenpolitik, mit ihren Verzerrungen und Realitätsverleugnungen.

Dazu gehört auf jeden Fall ein Spaziergang durch einen Herbstmorgen. Was schon gestern aber heute immer noch für ein wohliges Gefühl sorgt ist die Wahl von Joe Biden und Kamala Harris zu President bzw. Vice-President. Die Reden ohne die üblichen, vor Zynismus triefenden Projektionen anzuhören hat etwas Beruhigendes.

Reden von Kamala Harris und Joe Biden nach der Wahl

Dann auf nytimes.com zu surfen und auf den ersten Blick nur einmal das Wort Trump zu sehen, ein Gefühl, als ob es nie anders gewesen wäre.

Querdenken in Leipzig

Wenig überraschend gab es heute in Leipzig die zu erwartenden Bilder von einem Staatsapparat, der rechter Mobilisierung nichts entgegenzusetzen hat. Über Wochen wurde in sozialen Medien eindeutig dazu aufgerufen, jegliche Regeln, Anordnungen und Auflagen zu umgehen, wenn nicht gar mit Gewalt zu brechen. Und so ist es auch gekommen. Der folgende Tweet steht gerade zu prototypisch für den Verlauf des Tages:

Der Journalist Christoph Hedtke zur Situation am Abend von #le0711

Dabei greift die Kritik an der Polizei aber zu kurz. Die Stadt hätte als zuständige Versammlungsbehörde schon viel früher die Möglichkeit gehabt, die Versammlung auf dem Augustusplatz aufzulösen. Das hat sie trotz aller vorherigen Willensbekundungen nicht getan und es stellt sich die Frage nach dem Warum.

Es geschieht nicht zum ersten Mal. Es braucht Konsequenzen. Im Leipziger Ordnungsamt und im Innenministerium Sachsens. Wie soll man bitte diese Sequenz erklären:

Übergriff auf Journalisten, während Polizisten in nächster Nähe standen
Polizei bittet in Nachgang um Anzeigen der Betroffenen

Anstatt Lippenbekenntnissen braucht es Konsequenzen, und die beginnen in den Amtsspitzen.

Ich persönlich habe heute im übrigen nicht an den Gegendemonstrationen teilgenommen, aus Selbstschutz. Während ich diese Zeilen schreibe höre ich Böller in Bahnhofsnähe hochgehen. 2020 huh?

Nachtrag:

Sachsen nun völlig absurd.