
Als ich vor zwei Jahren begann, mich wieder für Fotografie zu interessieren, war ich mir sicher über das, was ich nicht wollte:
Ablenkung durch Displays
Ich wollte mit offenen Augen durch die Welt gehen, ohne permanent auf einem Display zu prüfen, ob das letzte Bild wirklich „gut genug“ geworden ist. Auch wollte ich nicht durch Mitteilungen des Smartphones aus dem Moment herausgezogen werden.
Hohe Anfangskosten
Da ich mir nicht sicher wahr, wie lange mein Interesse halten würden, wollte ich nicht zu viel Geld ausgeben
Hohe Zeitaufwände
Der Gedanke, im Nachhinein Stunden aufzuwenden, um ein Bild „möglichst perfekt“ zu bearbeiten, schreckte mich ab. Auch, weil ich immer das Gefühl hatte, „das“ nicht lernen zu können.
Schweres Equipment
Am liebsten wollte ich eine relativ leichte Rangefinder-artige Kamera mit fester Linse. Bloß kein Kamerarucksack auf dem Rücken rumtragen.
Über das Interesse an Fotografie hinaus gab es aber noch zwei weitere Motivationen. Mir war aufgefallen, dass ich in den letzten Jahren viel herumgekommen bin, aber die Smartphone-Fotos aber kaum für eine gute Erinnerung reichten. Ich war unzufrieden damit. Ich wollte mein Leben besser dokumentieren. Zweitens wollte ich im Alltag mehr raus kommen. Nicht erst seit Covid verbrachte ich mein Leben vor allem zwischen Homeoffice und Büro. Die Kamera sollte mir helfen, öfter wieder einfach mal so vor die Haustür zu gehen. Spazieren gehen. Mental Health.
Und wie bei allen „neuen“ Dingen wollte ich natürlich vor allem Lernen. Ach ja, die Ästhetik spielte natürlich auch eine Rolle. Ich dachte wirklich, ich könnte alles erfüllen.
Ich beginne von vorne. Es gab zwei Auslöser, die mich wieder zur Fotografie brachten. Zum einen die vielen schlechten Schnappschüsse auf meinem Smartphone von tollen Momenten, Orten und Reisen. Ich war enorm enttäuscht, dass diese Bilder meinen Erinnerungen absolut nicht gerecht wurden. Zum anderen die Kamera eines Freundes. Er wedelte schon eine Weile mit der Fuji X100V vor mir herum, die ohne viel zusätzlichen Aufwand tolle Bilder mit einer angenehmen analogen Ästhetik produzierte. Das wollte ich auch.
Leider war und ist mir diese Kamera bis heute viel zu teuer. Und mit der Vorgabe, dass ich nicht unwillkürlich immer auf das hintere Display schauen wollte, ob die Bilder wirklich was geworden sind (die eigenen Reflexe zu unterbinden ist selbstredend keine Möglichkeit), kam sie dann auch nicht mehr in Frage. Da wäre die Fuji X-Pro 3 gewesen, gleiche Möglichkeiten, kein Display (!) jedoch sehr teuer. Es gibt zwar noch viele andere gute Digitalkameras, aber um die gleiche visuelle Ästhetik zu erreichen, hätte es Nachbearbeitung bedeutet und das wollte ich eigentlich auch vermeiden.
Analoge Fotografie erschien als die Lösung. Der Einstieg mit gut abgehangenen Kameras ist erschwinglich und es gab und gibt genug Labore, die Entwicklung und Scan abwickeln. Film wegschicken, Bilder aufs Handy herunterladen. So einfach kann es gehen.
Also kaufte ich mir eine erste Rangefinder-Kamera, 50 Jahre alt, die nie richtig funktionierte und im ersten Urlaub kaputt ging. In diesem Urlaub kaufte ich mir in einem dafür spezialisierten Laden ein anderes Model, wieder Rangefinder. Die funktionierte eine Weile gut, muss aber inzwischen mal gewartet werden, weil die Blendenlamellen nicht mehr sauber schließen und öffnen. Beide Kameras haben unter 100 Euro gekostet, Lehrgeld. Inzwischen Fotografiere ich mit zwei Spiegelreflexkameras, die ähnlich günstig waren und recht robust ihren Dienst verrichten. Die dafür notwendigen Objektive waren auch relativ günstig. Niedrige Anfangskosten haben sich aber trotzdem nur teilweise erfüllt. Man hat es mit alter Technik zu tun und die kann schnell kaputt gehen.
Völlig unterschätzt hatte ich die laufenden Kosten. Für das Paket Film + Entwicklung + Scan sollte man um die 30 Euro einplanen. Mit deutlich mehr Ausreißern nach oben als nach unten, abhängig von dem Film, den man nutzen möchte. Das ist ein Brett. Ich habe das eine Weile gemacht, bis ich mir nach etwa einem halben Jahr einen Filmscanner zugelegt habe (450€). Bei der Menge an Filmen, die ich bisher geschossen habe, hat er sich schon lange amortisiert. Addiert zu den bereits angefallenen Anfangskosten hingegen…, tja.
Zu meiner Freude sind zwei mir sehr wichtige Aspekte eingetreten. Bin ich mit der Kamera unterwegs bin ich gleichzeitig sehr viel bewusster unterwegs, bewusster gegenüber der Welt um mich herum aber ebenso bewusster mir selbst gegenüber. Ich schaue in der Zeit sehr selten auf mein Smartphone aber dafür viel aufmerksamer um mich herum. Und ja, ich komme seitdem auch öfter vor die Haustür. Immer noch nicht ganz so oft, wie ich es vielleicht müsste, aber doch deutlich häufiger, als ohne die Lust, Bilder zu machen.
Der Zeitaspekt hingegen hat sich völlig entgegensetzt zu dem entwickelt, was ich eigentlich vor hatte. Durch den Verzicht auf Laborscans und nach Abwägung diverser Argumente beim Scannerkauf (Kosten, Verfügbarkeit, Qualität) hänge ich jetzt doch Stunden in der Nachbearbeitung. Der Scan eines Films braucht bei mir je nach Filmtyp und Qualitätsanspruch zwischen einer und vier Stunden. Um überhaupt scannen zu können, musste ich eine Lizenz von VueScan kaufen, dass auch unter Linux läuft (->Anfangskosten). Warum Linux? Das ist ein anderes Thema. Einmal gescannt müssen die Bilder in ein Positiv verwandelt werden. Und sind immer noch nicht fertig.
Denn, und das ist mein bisher größter Lernfortschritt, die Umwandlung von analog zu digital ist immer nur eine Interpretation und je nach einzelnem Zwischenschritt muss das Bild in der einen oder anderen Art und Weise bearbeitet werden. Auch der Laborscanner und dessen Bediener:in interpretieren die Dinge schlussendlich nur. In meinem Fall gibt mein Scanner zwar detaillierte aber doch recht flache Scans aus und ich musste bis heute viel über die Bearbeitung des Negativs zum Positiv zum „fertigen“ Bild lernen. Und bin damit sicherlich noch nicht am Ende angelangt. Allerdings: die Bearbeitung eines Bildes dauert in Darktable vielleicht noch ein bis zwei Minuten.
Schweres Equipment trage ich tatsächlich jedoch nicht mir herum. Meine Lieblingskamera ist zwar größtenteils aus Metall, gebaut wie ein Panzer und damit entsprechend schwer, insgesamt komme ich mit ihr und ein paar Filmen im Beutel aber recht leicht durch die Welt. Eher schmerzen die Füße als die Schultern, Rücken oder Arme.
Im Großen und Ganzen wurden meine Erwartungen also nicht erfüllt. Zum Teil sogar krass verfehlt. Und doch bin ich zufrieden. Weder Film noch Digital machen mich zu einem guten Fotografen. Aber in den zwei Jahren habe ich durch die Grenzen, die mir meine Entscheidungen auferlegt haben, viel gelernt. Ob ich ebenso viel gelernt hätte, wenn ich stattdessen direkt zu einer 2000€ teuren Digitalkamera gegriffen hätte? Wahrscheinlich nicht. Und womöglich hätte ich auch bald die Lust daran verloren, wovon jetzt gar keine Rede sein kann.